Die Jagd braucht eine Neuorientierung

Positionspapier des Österreichischen Forstvereins (1990)

Der Österreichische Forstverein hat anlässlich der Woche des Waldes 1990 unter dem Titel „Die Jagd braucht eine Neuorientierung“ ein Positionspapier veröffentlicht, das u.a. auch in der Österreichischen Forstzeitung Nr. 6/1990 erschienen ist. Das Echo auf dieses Positionspapier war bemerkenswert groß, und weite Kreise, die sich mit der Wald-Wild-Frage befassen, folgten der Argumentation dieses Papiers.

Der Österreichische Forstverein will mit dieser Stellungnahme einen Impuls für konkrete, zukunftsorientierte Lösungsansätze geben und so zu einer für die weitere Entwicklung fruchtbaren Diskussion beitragen. Die Stellungnahme aus dem Jahr 1993 soll dem kundigen Leser nicht vorenthalten werden. Die Ergebnisse der Österreichischen Waldinventur 2007/09 und das Wildeinflussmonitoring 2010 veranlassen den Österreichischen Forstverein das Positionspapier zu aktualisieren. Dies ist derzeit in Arbeit.

Die Jagd braucht eine Neuorientierung

Positionspapier des Österreichischen Forstvereins (1990)

 

Der Österreichische Forstverein legt dieses Positionspapier als Beitrag zur aktuellen Wald-Wild-Situation vor. Nach eingehender Beratung im Hauptausschuss wird das Papier von allen Landesforstvereinen getragen. Der Österreichische Forstverein will mit dieser
Stellungnahme einen Impuls für konkrete, zukunftsorientierte Lösungsansätze geben und so zu einer für die weitere Entwicklung fruchtbaren Diskussion beitragen.

In letzter Zeit sind in der Wald-Wild-Frage verstärkte Aktivitäten festzustellen. Von forstlicher Seite werden – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Schutzwalddiskussion und im Zusammenhang mit der Forstgesetznovelle 1987 – die Wildschäden immer deutlicher aufgezeigt und Abhilfemaßnahmen verlangt. Von jagdlicher Seite wird – vielleicht im Gegenzug – in vermehrtem Ausmaß auf tatsächliche oder vermeintliche Mängel bei der Waldbewirtschaftung hingewiesen. Diese Polarisierung macht deutlich, dass im Verhältnis zwischen der Jagd und dem Wald eine Neuorientierung unumgänglich notwendig ist. An diesbezüglichen Bekenntnissen mangelt es nicht – sie müssen aber auch in Taten umgesetzt werden.

 

1. Waldschäden durch Schalenwild vielerorts untragbar

Betriebliche wie auch überbetriebliche Untersuchungen zeigen, dass die Wildschäden in Österreich insgesamt zunehmen. Das gilt sowohl für die Schälschäden – die Anzahl der geschälten Stämme ist von einer zur anderen Inventurperiode angestiegen – als auch und ganz besonders für die Verbiss – und Fegeschäden, von denen vor allem die mit geringeren Anteilen vertretenen Baumarten betroffen sind, was zur Bestandesentmischung führt. Detaillierte Schutzwalduntersuchungen lassen erkennen, dass auch diese Wälder zum größten Teil ausreichend verjüngt sein könnten bzw. ihre Sanierung wesentlich erleichtert würde, wenn nicht der Verbiss die natürliche Verjüngung permanent verhinderte. Objektive Verjüngungsanalysen auf der Basis von Kontrollzäunen und Traktaufnahmen beweisen diesen Sachverhalt in ganz Österreich.

 

2. Am Kern vorbei

Das Faktum der Wildschäden wird von keiner Seite bestritten. Es geschieht aber – im großen gesehen – nichts Entscheidendes, um sie rasch und spürbar zu verringern. Die vermehrte Anprangerung forstlicher Sünden durch nicht forstkundige bzw. sehr jagdlich orientierte Kreise lässt hingegen die Vermutung aufkommen, dass dadurch vom Hauptproblem, den untragbaren Schäden durch überhegte Schalenwildbestände, abgelenkt werden soll. Parolen wie „Jagd ist angewandter Naturschutz“, „Ohne Jäger kein Wild“ und dgl. sind nur Schlagworte, dienen aber nicht zur Lösung des Problems.

 

3. Forstgesetz Novelle 1987: Mehr Schutz für den Wald

Die Forstgesetz-Novelle 1987 hat die Frage der flächenhaften Gefährdung des Bewuchses (landläufig als Waldverwüstung bezeichnet) stark akzentuiert. Angesichts der anhaltend hohen Schädigung des Waldes durch das Wild und der vor allem im Schutzwaldbereich bestehenden Verhinderung der Naturverjüngung wurde in § 16 (5) nachfolgende Verfassungsbestimmung aufgenommen: „Wurde eine durch jagdbare Tiere verursachte flächenhafte Gefährdung des Bewuchses festgestellt, so sind durch das zuständige Organ des Forstaufsichtsdienstes ein Gutachten über Ursachen, Art und Ausmaß der Gefährdung und Vorschläge zu Abstellung der Gefährdung an die Jagdbehörde und an den Leiter des Forstaufsichtsdienstes beim Amt der Landesregierung zu erstatten…“.

 

4. Reduzierung überhöhter Wildstände unerlässlich

In der Wildbewirtschaftung muss klar unterschieden werden zwischen Gebieten, in denen Wildschäden unbedeutend sind und solchen, in denen sie waldzerstörend sind. Wo der Wald nur geringen Schaden durch das Wild erfährt, dort steht die Jagd im Einklang mit dem Lebensraum. Wo aber der Wald durch Verbiss-, Fege- oder Schälschäden in seinem Bestand bedroht wird, dort müssen die notwenigen Maßnahmen gesetzt werden. Sie dürfen nicht durch eine Vielzahl von Vorschriften und Beschränkungen be- oder gar verhindert werden. Wo die Ursache einer „flächenhaften Gefährdung des Bewuchses“ offensichtlich in einem überhegten, bezogen auf den Lebensraum nicht tragbaren Schalenwildbestand liegt, dort führt an einer spürbaren Reduzierung solcher Schalenwildbestände kein Weg vorbei. Das weiß man zwar seit langem, scheut dann aber doch immer wieder davor zurück, die notwendigen Schritte zu setzten, um ein ausgewogenes Verhältnis herzustellen.

In den Landesjagdgesetzen ist den Interessen der Landeskultur klar und deutlich Vorrang einzuräumen. Der Verwirklichung dieser Gesetzesabsicht steht aber nach wie vor ein großes Vollzugsdefizit gegenüber.

 

5. Sind die Jagdgesetze zeitgemäß?

Die heutigen Landesjagdgesetze (Ausnahme z.B. das Vorarlberger Jagdgesetz) haben ihre Wurzeln durchwegs im seinerzeitigen Reichsjagdgesetz bzw. in der Nachkriegszeit, in der die Aufhege dezimierter Wildbestände im Vordergrund stand. Die Mehrzahl dieser Gesetze ist daher stärker auf die Aufhege von zu niedrigen als auf die Reduzierung von zu hohen Wildständen ausgerichtet. Vier bzw. fünf Jahrzehnte danach, da nun die Wildstände ein für den Wald vielfach nicht mehr tragbares Ausmaß erreicht haben und wieder reduziert werden müssen, ist das vorgegebene Instrumentarium dazu offenbar nicht geeignet bzw. erneuerungsbedürftig.

Der Jagdausübungsberechtigte ist heute in ein Korsett von Richtlinien und Auflagen gezwängt, das oft weitab von seinem eigenen jagdlichen Denken liegt und nur einer jagdlichen Ideologie, nicht aber dem Bedürfnis von Wald und Wild entspricht. Durch eine Übertreibung der Reglementierungen wird die Jagd ihrer ursprünglichen Aufgabe mehr und mehr entfremdet; eine formale Kruste erstickt ihren eigentlichen Kern.

Mit dem schon erwähnten Reichsjagdgesetz wurde das Trophäen-Denken fest verankert, und in den Nachfolgegesetzen ist es eher noch ausgebaut worden. Jahrzehntelang wurde in Österreich einem Trophäenkult gehuldigt, der den Blick auf die Umwelt, in der das Wild lebt, weitgehend verstellte. Nur zögernd finden die inzwischen von der Wildbiologie gewonnenen Erkenntnisse Eingang in die Jagdgesetze und in die jagdliche Praxis.

Die Jagdgesetzgebung muss stärker darauf ausgerichtet werden, dass die Umwelt nicht durch jagdliche Regelungen zu Schaden kommt. Das Leitbild des ökologisch orientierten Jägers, dem eine gesunder, tragbarer Wildstand in einer heilen Umwelt wichtiger ist als die Haltung überhöhter Wildstände oder die ominöse „Artverbesserung“ muss stärker in den Mittelpunkt des jagdlichen Selbstverständnisses gerückt werden.

 

6. Wunder Punkt: Abschussplanung

Seit Jahrzehnten werden die Abschüsse beim Schalenwild (außer Schwarzwild) „geplant“, genehmigt oder festgesetzt – aber mehr und mehr wird offenkundig, dass als Ergebnis dieser jahrzehntelangen Planung auf großer Fläche die Wildstände untragbar hoch sind und der Wald, vor allem der Gebirgswald, durch sehr große Wildschäden in seinem Fortbestand bedroht ist. Sind sich die zuständigen Stellen der Verantwortung, die sie mit der Abschussplanung übernehmen, überhaupt bewusst? Haben die zuständigen Stellen am Ende ob des weitverbreiteten Trophäenkultes mit Diskussionen um Gramm, Zentimeter und Altersjahre den Auftrag zum Schutz der Landeskultur weitgehend übersehen?

Durch den Abschussplan soll der Abschuss von jagdbaren Tieren, deren Bestand gefährdet ist, eingeschränkt, und muss der Abschuss von Wild, dessen Bestand landeskulturell zu hoch ist, gefördert werden. Der Abschussplan soll ein Hilfsmittel, aber nicht ein Hindernis zur Herstellung tragbarer Wildstände sein. Je mehr der tatsächliche Wildstand die Tragbarkeitsgrenze überschreitet, desto liberaler müssen die Vollzugsbedingungen sein und desto strenger muss auf den Vollzug selbst geachtet werden.

 

7. Der Vollzug ist entscheidend

Abschüsse sind nicht nur zu planen, sie müssen auch vollzogen werden. Bekanntlich werden die Abschusspläne nur selten in vollem Umfang vollzogen, was von der „planenden“ Seite so gerne als Beweis dafür genannt wird, dass eben doch nicht so viel Wild vorhanden wäre wie
vermutet. Die steigenden Wildschäden beweisen das Gegenteil. Jeder, der mit der Jagdausübung zu tun hat, weiß um die zahlreichen Beschränkungen, die einem Abschussvollzug in den Weg gestellt sind.

Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Hier wird keinesfalls der Missachtung des Tierschutzes das Wort geredet. Aber die vielen Auflagen, Einschränkungen, Erschwerungen, Behinderungen, hervorgerufen durch streng eingeteilte Wild- und Trophäenklassen, und das ständig über einem schwebende Damoklesschwert von Bestrafung und Desavoierung bei nicht plan- bzw. regelrechtem Abschluss – das sind die wahren Bremser für den notwendigen Abschussvollzug. Wenn man der Wildschadensmisere ernsthaft begegnen will, dann darf man an diesen Tatsachen aber nicht fortwährend vorbeigehen. Ohne eine ausreichende Anpassung der Mittel an den Zweck, ohne eine weitgehende Erleichterung des Abschussvollzuges, ist besonders in den Gebirgsrevieren das Wildproblem nicht lösbar.

 

8. Interessen der Grundeigentümer beachten

Jagdliche Interessen werden häufig von einem Personenkreis vertreten, der von den schädlichen Auswirkungen eines zu hohen Wildstandes nicht selbst betroffen ist; den Interessen der Grundeigentümer wird dagegen vielfach nicht im notwendigen Ausmaß Rechnung getragen. Die Grundeigentümer, ob mit oder ohne Eigenjagdrecht, sollten nicht darauf verzichten, die Möglichkeit, die ihnen das Jagdgesetz wie auch das Forstgesetz einräumen, im Interesse des Waldes voll auszunützen.

 

9. Ein Umdenken ist notwendig

Angesichts der ernsten Lage, in der sich große Teile des Waldes (insbesondere im Gebirge) befinden, regt der Österreichische Forstverein für den Bereich der Jagd folgendes an:

  • Vorrang für die Landeskultur, Vorrang für den Wald. Jagdliche Interessen sind diesen Erfordernissen unterzuordnen.
  • Stärkere Berücksichtigung der Interessen der Grundeigentümer, sowohl für Eigenjagden, als auch für Genossenschafts- bzw. Gemeindejagden.
  • Mehr Freiheit für die Jagdberechtigten. Nicht alles muss behördlich oder körperschaftlich geplant und geregelt sein.
  • Weg vom übertriebenen Trophäenkult, weg von der Pflicht-Trophäenschau. Freude am Jagderlebnis, auch Freude an einer Trophäe, aber nicht die Trophäe über die Jagd stellen. Die Trophäe als Beigabe, aber nicht als Inbegriff der Jagd.
  • Mehr Flexibilität in der Jagd entsprechend den jeweiligen Verhältnissen. Viele jagdliche Regelungen beziehen sich auf die Wildstandsaufhege und auf die Trophäenhege und passen bei der Notwendigkeit einer Wildstandsreduktion in Wildschadensgebeiten einfach nicht. Sonderregelungen sind in der Handhabung schwerfällig und erlangen keine ausreichende Breitenwirkung.
  • Stärkere Beachtung der umfassenden Verantwortlichkeit der Behörden und ihrer Beratungsorgane auf die Auswirkungen, die die Bestätigung bzw. die Festsetzung von Abschussplänen, insbesondere deren Kürzung, auf den Wald haben.
  • Reform der Abschussplanung: Die Angabe des Wildstandes stellt keine geeignete Grundlage für die Abschussplanung dar: Ausgangspunkt für die Abschussplanung muss der Zustand des Waldes sein. Ist überhaupt ein Abschussplan notwendig? Beim Rehwild ist er sicherlich entbehrlich. Beim Gamswild in Waldrevieren ist er unbrauchbar. Der Abschussplan soll eine Untergrenze, kein Fixum vorschreiben. Ein gemeinsamer Abschussplan für mehrere Jagden kann zweckmäßig sein, ebenso ein Abschussplan für mehrere Jahre. Das Fallwild ist nicht auf dem Abschussplan anzurechnen.
  • Lockerung bzw. Aufhebung der Wildklasseneinteilung. Die Wildklasseneinteilung ist eines der größten Hindernisse zur Erfüllung der notwendigen Abschüsse. Viele völlig einwandfreie Abschüsse, die in der praktischen Jagdausübung ohne weiteres möglich wären, werden nur deshalb nicht vollzogen, weil ihnen entbehrlich gesetzliche oder behördliche Beschränkungen entgegenstehen. Die Bindung des Abschusses an einzelne Wildklassen ist wesentlich zu liberalisieren.
  • In Wildschadensgebieten behördliche Kontrolle des als Abschuss gemeldeten Wildes und des Fallwildes, sofern dieses noch auf den Abschussplan angerechnet wird.
  • Aufhebung von Verboten und Sanktionen für Handlungen, die den Abschuss erschweren und nicht dem Tierschutz dienen. Keine Strafen für Abweichungen von den im Abschussplan vorgesehenen Wildklassen. Sanktionen nur bei zahlenmäßiger Nichterfüllung notwendiger Abschüsse. Der Begriff der Weidgerechtigkeit ist von Zeit zu Zeit neu zu überdenken und nicht einfach als Schutzschild zu Verteidigung abschussbeschränkender Maßnahmen zu missbrauchen.
  • Abschussrichtlinien als Leitlinie, als Empfehlung; aber nicht als behördliche Vorschrift. Die Abschussrichtlinien sind überwiegend auf die sogenannte Artverbesserung ausgerichtet und selbst für diese von höchst zweifelhafter Wirkung. Die Beachtung solcher Richtlinien sollte dem Jagdausübungsberechtigten freigestellt, nicht aber vorgeschrieben werden. In Wildschadens-Schwerpunktgebieten wird der Zwang zur Einhaltung von Abschussrichtlinien zur Groteske.
  • Schonzeitverkürzungen: Wo erforderlich Vorverlegung der Schusszeiten von männlichen Stücken (besonders beim Gamswild), von nichtführenden und nicht hochbeschlagenen weiblichen Stücken und von Jungwild.
  • Einschränkung der Fütterung: Es lässt sich unschwer beweisen, dass mit der Fütterung, die häufig nicht eine Erhaltungs- sondern eine Mastfütterung ist, die Wildstände und die Trophäenqualität, gleichzeitig aber auch die Wildschäden deutlich angestiegen sind. Unter dem Vorwand des Tierschutzes dient die Fütterung in vielen Fällen hauptsächlich der Erziehung besserer Trophäen, der Haltung höherer Wildstände und der Ankirrung, also der Jagd und nicht dem Wald. Dem in der Fütterungsfrage nur allzu leicht weckbaren, von wenig Naturkenntnis getragenen Mitleideffekt wird das in der freien Wildbahn wirkende Prinzip der natürlichen Auslese gegenübergestellt. Durch eine Notfütterung kann die Haltung eines Wildstandes, der auch außerhalb der Fütterungszeit tragbar ist, unterstützt werden. Durch Fütterung einen darüber hinausgehenden Wildstand halten zu wollen, ist abzulehnen.

 

10. Forstliche Maßnahmen

Der Wald und das in ihm lebende Wild sind miteinander verbunden; Waldwirtschaft ohne Berücksichtigung des Wildes wäre ebenso wenig zielführend wie die Außerachtlassung des Waldes bei der Jagd. Insbesondere im Bereich der Nutzungs- und der Verjüngungsmaßnahmen kann viel zu Verbesserung der Ernährungsbasis für einen angemessenen Wildstand beitragen werden. Ebenso muss aber auch dieser den forstlichen Maßnahmen angepasst sein, sonst kann im Waldbau kein befriedigendes Ergebnis erzielt werden.

 

11. Mehr Naturverjüngung

Als Beispiel für eine ganze Reihe waldbaulich möglicher Schritte wird die verstärkte Anstrebung der Naturverjüngung gegenüber der Aufforstung genannt, wobei Naturverjüngungen von bodenständigen bzw. standortsangepassten Mutterbäumen anszustreben sind. Sie sind individuenreich, setzen sich in der Regel aus mehreren Baumarten zusammen und bilden somit eine günstige Ausgangsposition für den künftigen Bestand. Die Herbeiführung einer reichlichen (massenhaften) Verjüngung eröffnet waldbaulich viele Möglichkeiten und bietet gleichzeitig ein großes Äsungspotential.

 

12. Ein Teufelskreis

Damit gelangt man aber zu einem Kernpunkt des ganzen verfahrenen Wald-Wild-Problems: Positive waldbauliche Maßnahmen werden nur dann gesetzt, wenn bei fachlich richtiger Vorgangsweise eine Aussicht auf Erfolg besteht. Wenn aber immer wieder die Naturverjüngung, besonders die Tanne und die Laubbäume, durch den Verbiss zugrunde geht, wenn sich nach Jahrelangen waldbaulichen Bemühungen keine entsprechende Verjüngung einstellt, dann darf es nicht verwundern, dass schließlich eine Erlahmung in den forstlichen Bemühungen eintritt und mit Fichte aufgeforstet wird. Diese Demoralisierung der waldbaulichen Handlungsweisen als Folge permanenter Fehlschläge, diese resignierende Erkenntnis, dass trotz richtiger Vorgangsweise infolge des untragbaren Verbisses kein entsprechender Erfolg erzielt wird, ist einer der größten Schäden, die überhegte Wildstände auf die Dauer zur Folge haben.

 

13. Gezielte Schutzmaßnahmen

Wo standortsgemäß zusammengesetzte Waldbestände nur mehr hinter Zaun aufgebracht werden können, dort stehen Wald und Wild in einem krassen Missverhältnis. Nur in Teilbereichen, z. B. an Extremstandorten, ist eine Unterstützung der Verjüngung durch technische Schutzmaßnahmen vertretbar. Der Kulturschutz darf nicht zur Voraussetzung für jeglichen Waldbau werden.

 

14. Der Wald braucht eine Verschnaufpause

In den letzten Jahren ist ein über das ganze Bundesgebiet reichendes Kontrollzaunnetz errichtet worden, das zeigt, wie schnell und wie mannigfaltig sich die Bodenvegetation regeneriert und die Naturverjüngung einstellt, wenn für einige Zeit der Verbissdruck wegfällt: Kräuter, Gräser, Stauden, Sträucher und zahlreiche Baumarten kommen – je nach den Standortsverhältnissen – rasch und reichlich, von Natur aus an, selbst dann, wenn in der nähren Umgebung kaum mehr geeignete Samenspender vorhanden sind.

Die Voraussetzung dafür, dass die notwendigen waldbaulichen Maßnahmen ausgeführt werden und zum Tragen kommen und dass eine Regeneration des Waldes erfolgt, ist die Herstellung eines den jeweiligen Umständen angepassten Wildstandes. Nicht überall müssen Wildstandsreduktionen durchgeführt werden. Notwendig sind sie aber dort, wo der Lebensraum Wald durch das Schalenwild seit langem übernutzt, ausgeäst ist. Dort muss dem Wald eine Verschnaufpause, eine Schonzeit gegeben werden, damit er wieder einen für die Forstwirtschaft und für das Wild gleichermaßen günstigen Zustand erreichen kann.

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