Jagd im Umbruch

Stellungnahme des Österreichischen Forstvereins zu aktuellen Wald-WildFragen (1993)

Der Österreichische Forstverein hat anlässlich der Woche des Waldes 1990 unter dem Titel „Die Jagd brauch eine Neuorientierung“ ein Positionspapier veröffentlicht, das u.a. auch in der Österreichischen Forstzeitung Nr. 6/1990 erschienen ist. Das Echo auf dieses Positionspapier war bemerkenswert groß, und weite Kreise, die sich mit der Wald-Wild-Frage befassen, folgten der Argumentation dieses Papiers. Der Hauptausschuss des Forstvereins, der den Gegenstand in mehreren Sitzungen behandelt hat, kam zu dem Schluss, dass die mit dem Positionspapier verbundene Absicht weitgehend erreicht worden ist:

  • Die Diskussion der Wald-Wild-Frage in sachlicher Form zu beleben und
  • Anstoß zu dringend notwendigen Reformen zu geben.

Erwartungsgemäß gab es auf das Positionspapier sowohl zustimmende als auch ablehnende Reaktionen. Erstere wurden mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, letztere einer gründlichen Prüfung durch das Präsidium und den Hauptausschuss unterzogen. Die nachfolgenden Ausführungen stellen einen Niederschlag dieser Arbeit dar.

Jagd im Umbruch

Stellungnahme des Österreichischen Forstvereins zu aktuellen Wald-WildFragen (1993)

 

Positiver Trend

Es ist unverkennbar, dass in den letzten Jahren im Bereich der Wald-Wild-Frage eine positive Entwicklung eingetreten ist. Auch wenn man mit dem Erreichten noch nicht zufrieden sein kann, sollen diese Ansätze zu einer Lösung als Erfolg der allseitigen Bemühungen hervorgehoben werden. In der Jagdgesetzgebung einiger Bundesländer sind Veränderungen eingetreten, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wären. Die Behörden räumen in zunehmendem Maß dem Schutz des Waldes den ihm gebührenden Platz ein.

Die Gremien der Jägerschaft, vor allem im oberen Führungsbereich, erkennen die Situation und bemühen sich, angesichts mehrerer Fronten die gegenüber der Forstwirtschaft bestehende nach Möglichkeit zu beruhigen. Und in der Forstwirtschaft regen sich allerorten Kräfte, die sich bemühen, einer naturnahen Waldbewirtschaftung neue Impulse zu geben und Schäden, die dem Wald im Zuge der Bewirtschaftung zugefügt werden könnten, hintanzuhalten. Alles in allem eine Situation, die zu einem berechtigten Optimismus ermutigt.

 

Ziel noch nicht erreicht

Die Befriedigung über Erreichtes kann nicht den Blick vor dem noch Notwendigen verschließen. Der Waldbericht des Bundesministeriums für Land und Forstwirtschaft weist nach wie vor hohe Verbissschäden, insbesondere an den Mischbaumarten, aus. Die Österreichische Forstinventur lässt ein weiteres Ansteigen der Bäume mit Schälschäden erkennen und viele Bemühungen um eine Sanierung des Schutzwaldes scheitern am verbissbedingten Ausfall der Verjüngung. Aus den Betrieben werden teils Erfolge hinsichtlich der Wildschadenssenkung gemeldet, an vielen Waldorten ist aber die Schadenssituation nach wie vor unbefriedigend bis untragbar.

Im Hauptausschuss des Österreichischen Forstvereins besteht die Auffassung, dass die Bemühungen um eine Verminderung der durch das Schalenwild am Wald verursachten Schäden in allen Bereichen und auf allen Ebenen fortgesetzt werden müssen.

 

Gesetzliche Regelungen

Die Jagdausübung ist in einem hohen Maß gesetzlich geregelt, Wildstandsregulierungen werden daher sehr stark durch die jagdgesetzlichen Bestimmungen beeinflusst. Dieser Tatsache Rechnung tragend wurden in einigen Bundesländern (aber keineswegs in allen!) diverse Novellierungen der Jagdgesetze durchgeführt, die die Herstellung tragbarer Schalenwildbestände erleichtern.

Grundsätzlich wird heute in jedem Jagdgesetz zum Ausdruck gebracht, dass die Jagd unter Rücksichtnahme auf die Belange der Land- und Forstwirtschaft auszuüben ist und dass im Widerstreit zwischen verschiedenen Interessen jenen der Landeskultur der vorrang einzuräumen ist. Es ist festzuhalten, dass das legistische Instrumentarium zur Aufrechterhaltung bzw. Herstellung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen der Forstwirtschaft und der Jagd durchwegs gegeben ist, das aber vielfach deutliche Mängel bei der praktischen Umsetzung bestehen. Das betrifft Behörden, Interessenvertretungen, Jagdausübungsberechtigte und Grundeigentümer, die von den gesetzlichen gegebenen Möglichkeiten nicht immer einen ausreichenden Gebrauch machen.

Die heute gültigen Jagdgesetze leiten sich überwiegend aus adaptierten und wiederholt ergänzten Gesetzen früherer Zeitabschnitte mit einer zumeist anderen Zielsetzung als der heutigen ab; sie sind daher vielfach überladen, unübersichtlich und hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Abschnitte unausgewogen. Es wäre an der Zeit, Neufassungen derartiger Gesetze unter Berücksichtigung der neueren wildbiologischen Erkenntnisse und der Erfordernisse der heutigen Zeit vorzunehmen.

 

Umdenken bei den Behörden

Haben die Jagdbehörden bis zum Ende der achtziger Jahre in zahlreichen Fällen weniger nach den Interessen der Grundeigentümer als vielmehr nach denen der Jägerschaft entschieden, so ist in diesem Belang ein deutlicher Wandel zu verzeichnen. Sicherlich mitbedingt durch die vielfältige Bedrohung des Waldes durch Schadstoffeinwirkungen, Tourismus usw. ist eine zunehmende Aufgeschlossenheit der Behörden gegenüber den Erfordernissen des Waldes zur Erfüllung seiner Funktionen feststellbar. Diese geänderte Haltung der Behörden eröffnet den Waldbesitzern nunmehr die Möglichkeit, ihre Ansprüche wohlbegründet geltend zu machen und nicht etwa – eingedenk früherer Misserfolge – in Resignation zu verharren.

Die zunehmende Einflussnahme der Forstbehörde zur Hintanhaltung gravierender Schäden am Wald durch überhegte Schalenwildbestände ist unverkennbar. Gestärkt durch die Forstgesetz-Novelle 1987 nimmt die Forstbehörde heute ihre Aufgabe bezüglich des Schutzes des Waldes in verstärktem Umfang wahr.

 

Jägerschaft auf dem Prüfstand

In den Äußerungen der Jägerschaft zum Thema Wald und Wild ist innerhalb der letzten Jahre ebenfalls ein auffallender Wandel eingetreten: Wurde vormals beim Aufzeigen von Wildschäden und bei der Forderung nach einer Reduzierung zu hoher Schalenwildbestände meistens Front gegen solche Aussagen gemacht, so wird das Thema heute viel sachlicher behandelt und werden Abhilfemaßnahmen erwogen und teilweise auch getroffen. Unverkennbar ist man sich der Bedrohung des Waldes durch untragbare Wildschäden sowie der damit verbundenen ungünstigen Optik gegenüber der Öffentlichkeit auf der Landesebene mehr bewusst als in den nachgeordneten Gliederungseinheiten, in denen das Problembewusstsein noch nicht überall voll ausgeprägt ist.

Wenn auf Seiten der Jägerschaft die Bereitschaft zur Lösung der anstehenden Fragen erkennbar wird, dann muss eine solche Entwicklung auch seitens der Forstwirtschaft wahrgenommen und unterstützt werden. Dass beim Abbau von Gegensätzen, die schon jahrzehntelang bestehen und ziemlich stark verwurzelt sind, auch gewisse Rückschläge und Pannen auftreten können, sollte bedacht und in den Änderungsprozess einkalkuliert werden. Vorsicht muss aber dann geboten sein, wenn Worte und Taten systematisch auseinanderklaffen. Es darf nicht um eines billigen Friedens wegen die Kernforderung, nämlich die Wildschadensverringerung, aus den Augen verloren werden. Ebenso wenig dürfen andere Einflüsse, die den Wald auch schwer belasten, wie etwa bestimmte Bereiche des Tourismus, so in den Mittelpunkt gerückt werden, dass dadurch die Sicht auf das zentrale Problem der Wildschäden verstellt wird. Alle Gefahren, die den Wald bedrohen, sind zu beachten und nach Möglichkeit zu minimieren, aber keine von ihnen sollte zur Ablenkung von den Wildschäden vorgeschoben werden.

 

Die Position der Grundeigentümer

Der Grundeigentümer spielt in der Wald-Wild-Beziehung eine zentrale Rolle. Je nachdem, ob es sich bei einer Grundfläche um ein Eigenjagdgebiet (in Selbstverwaltung oder verpachtet) oder um ein genossenschaftliches Jagdgebiet bzw. um ein Gemeindejagdgebiet handelt, sind die Möglichkeiten des Grundeigentümers zur Gestaltung des Wald-Wild-Verhältnisses sehr verschieden.

In Eigenjagdgebieten kann der Grundeigentümer einen maßgeblichen Beitrag zur Harmonisierung des Wald-Wild-Verhältnisses leisten, indem er entweder selbst entsprechende jagdliche Maßnahmen trifft oder seinen Jagdpächter dazu verhält. – Deutlich schwieriger ist dagegen die Durchsetzung der waldbaulichen Interessen jener großen Anzahl von Grundeigentümern, deren Grundstücke zu einem genossenschaftlichen Jagdgebiet gehören. Hier besteht keine eigene jagdliche Handlungsfähigkeit, Lösungen können nur über Dritte erreicht werden. Die Organe der Jagdgenossenschaften, die berufsständischen Interessenvertretungen und die zuständigen Behörden tragen diesem Eigentümerkreis gegenüber eine sehr große Verantwortung. Die Novelle 1991 zum NÖ. Jagdgesetz ist hinsichtlich der Mitwirkungsrechte der Grundeigentümer als vorbildlich zu bezeichnen.

Die Grundeigentümer sind angesprochen, von ihren Möglichkeiten zur Herstellung eines tragbaren Wald-Wild-Verhältnisses vollen Gebrauch zu machen. Standen einem solchen Bemühen früher schier unüberwindbare Hindernisse entgegen, so ist es heute für den Grundeigentümer leichter, sein Ziel zu erreichen, sofern er bereit ist, entsprechende Handlungsinitiativen zu entwickeln.

 

Weiterer Weg in der Wald-Wild-Frage

Zieht man in der Wald-Wild-Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt Bilanz, so ist im allgemeinen ein positiver Trend festzustellen. Vielerorts ist man auf dem Weg zu einer naturnahen Jagd – man sollte dabei aber nicht auf halbem Weg stehen bleiben und meinen, dass man schon am Ziel wäre.

Zur weiteren Entspannung der Wildschadensituation werden folgende Schritte und Verhaltensweisen als notwendig erachtet:

  • Klare Unterscheidung zwischen Gebieten, in denen der Wildschaden unbedeutend bzw. tragbar ist, und solchen Gebieten, in denen er gravierend oder gar waldzerstörend ist. Dementsprechende Modifizierung der jagdlichen Maßnahmen.
  • Die Tragbarkeit des Wildstandes am Zustand des Waldes, insbesondere derVerjüngung, messen. Das Heranwachsen eines standortgemäß zusammengesetztenWaldes muss im wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen möglich sein.
  • Abschussplanung: Weniger Reglementierung, mehr Rücksichtnahme auf dieverschiedenen Waldfunktionen und die Bedürfnisse der Landeskultur. Nur sicherePlanungsgrundlagen heranziehen (z. B. Abschuss der letzen drei Jahre, plusWaldzustand – siehe Niederösterreich). Möglichkeit der Vorgabe eineRahmenplanung über mehrere Jahre. Wirksame Kontrolle des Abschussvollzuges(körperlicher Nachweis).
  • Abschussrichtlinien, Klasseneinteilungen, Bejagungsmethoden und dergleichen beweglicher gestalten; sie stärker auf den Schutz des Waldes als auf Trophäenzuchtund Wildstandsaufhege ausrichten.
  • Den Interessen der Grundeigentümer, ob mit oder ohne Eigenjagdrecht, unter Berücksichtigung der Landeskultur in Zukunft mehr Rechnung tragen. VerstärkteAufklärung der Grundeigentümer über die ihnen von Forst- wie auch vom Jagdgesetz eingeräumten Möglichkeiten.
  • Stärkere Beachtung der umfassenden Verantwortlichkeiten der Behörden und der Interessensvertretungen für die Auswirkung der jagdlichen Maßnahmen auf den Wald. Den forst- und jagdgesetzlichen Aufträgen zur Abwehr von Wildschäden ist zu entsprechen.
  • Informationsarbeit innerhalb der Jägerschaft intensivieren: Während die Maßnahmen, die zur Herstellung tragbarer Wildbestände notwendig sind, auf Landesebene in zunehmendem Maße Zustimmung und Unterstützung finden, bestehen auf der Bezirks- und Hegeringebene örtlich noch massive Vorbehalte.
  • Von forstlicher Seite der naturnahen Waldbewirtschaftung in verstärktem Maß Rechnung tragen. Viele diesbezügliche Initiativen sind bereits angelaufen undkennzeichnen den eingeschlagenen Weg.

 

April 1993

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